Geht der Trend für Schadensersatzansprüche nach der DSGVO in Richtung eines Strafschadensersatzes nach US-amerikanischem Vorbild? Und welche Auswirkungen hätte damit einhergehend die Einführung der Verbandsklage in Deutschland?
Entsprechend Art. 82 DSGVO steht jedem von einer rechtswidrigen Datenverarbeitung Betroffenen gegen den Verantwortlichen bzw. dessen Auftragsverarbeiter ein Anspruch auf Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens zu.
Bisher waren deutsche Gerichte in Bezug auf den Ersatz immaterieller Schäden nach Art. 82 DSGVO eher zurückhaltend. In der Regel verlangten sie die Überschreitung einer Bagatellgrenze. Einiges deutet aktuell darauf hin, dass hier in Zukunft eine Anpassung der Rechtsprechung erfolgen könnte.
Das Bundesverfassungsgericht bejahte in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 14. Januar 2021 (1 BvR 2853/19) zugunsten des Beschwerdeführers eine Vorlagepflicht zum Europäischen Gerichtshof. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bedarf die Frage, ob für schadensersatzrechtliche Ansprüche infolge von Datenschutzverstößen eine Bagatellgrenze gilt, einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof.
Grundlage des Beschlusses stellt eine Entscheidung des Amtsgerichts Goslar (nachfolgend „AG Goslar“) vom 27.09.2019 (28 C 7/19) dar. In dem Verfahren begehrte der als Rechtsanwalt tätige Kläger aufgrund einer einzigen datenschutzwidrig versendeten E-Mail von der Versenderin unter anderem Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO in Höhe von mindestens 500,00 Euro.
Mit Urteil vom 27.09.2019 wies das AG Goslar die Klage des Rechtsanwalts hinsichtlich des Schadensersatzbegehrens ab. Nach Ansicht des Gerichts stehe dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu, da die die Beeinträchtigung durch die unaufgeforderte Übermittlung einer E-Mail die Erheblichkeitsschwelle des Art. 82 DSGVO nicht überschritten habe. Dies begründete das Amtsgericht damit, dass nur eine einmalige Zusendung stattgefunden habe und zudem kein erstattungsfähiger wirtschaftlicher Schaden vorliege.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger zunächst eine sogenannte Anhörungsrüge ein. Der Kläger begründete diesen Rechtsbehelf damit, dass eine Beschränkung des Anspruchs aus Art. 82 DSGVO durch eine mögliche Bagatellgrenze nicht durch das Amtsgericht hätte erfolgen dürfen. Vielmehr sei eine solche Rechtsauslegung durch den EuGH vorzunehmen. Diesem obliege die Auslegung von Unionsrecht, also auch der DSGVO. Das Amtsgericht wies den Rechtsbehelf entsprechend der ursprünglichen Entscheidung aber ab.
Schließlich erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Dort machte er geltend, dass sein verfassungsrechtlich verankertes Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz durch die nicht erfolgte Vorlage im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH verletzt sei.
Die Karlsruher Richter sind der Argumentation des Klägers gefolgt und entschieden, dass mangels Vorlage der Rechtsfrage beim EuGH die Grundrechte des Klägers verletzt worden sind. Wenngleich die nationalen Gerichte zur Beachtung und Anwendung von Europarecht berechtigt und verpflichtet sind, so gilt dies nicht, wenn es um die grundlegende Klärung offener Rechtsfragen geht. Da über ein mögliche Bagatellgrenze bei Schadensersatzansprüchen wegen Datenschutzverstößen noch nicht entschieden wurde, handelt es sich dabei um eine elementare Auslegungsfrage des Europarechts. Das AG Goslar überschritt demnach in der ergangenen Entscheidung seinen Zuständigkeitsbereich und verletzte dadurch das Recht auf den gesetzlichen Richter des Klägers.
Das Urteil des Amtsgerichts wurde demnach aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das Goslarer Gericht zurückverwiesen.
Eine Pflicht des AG Goslar zur Vorlage beim EuGH besteht nicht. Aufgrund der Entscheidung aus Karlsruhe ist eine Vorlage durch das AG Goslar aber sehr wahrscheinlich. Ansonsten dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ein anderes deutsches Gericht die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegt.
Wie der EuGH dann letztendlich entscheiden würde, lässt sich nur schwer beurteilen. Die Frage, ob bei Art. 82 DSGVO eine Bagatellgrenze gilt, ist sehr umstritten. Dies liegt insbesondere daran, dass schon die Regelungen in den Erwägungsgründen der DSGVO bzgl. einer möglichen Bagatellgrenze widersprüchlich sind. Einerseits gehen viele Rechtsexperten unter Einbeziehung von Erwägungsgrund 146 S. 3 von einer großzügigen Auslegung des Begriffs des „Schadens“ aus. Dies spricht eher gegen eine Art. 82 immanente Erheblichkeitsschwelle.
Aus Erwägungsgrund 146 S. 6 DSGVO hingegen ergibt sich wohl, dass Betroffenen kein Schadensersatzanspruch für niederschwellige subjektiv empfundene Beeinträchtigungen zusteht, sondern nur für tatsächlich “erlittene(n)” Schäden. Für die Annahme einer Erheblichkeitsschwelle spricht ferner auch der Wortlaut von Erwägungsgrund 85 S. 1 DSGVO, der “erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile für die betroffene natürliche Person” voraussetzt.
Sollte der EuGH zukünftig entscheiden, dass auch geringwertige bzw. immaterielle Schäden einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO auslösen können, so hätte dies unter Umständen erhebliche Konsequenzen für mögliche „Sammelklagen“ zur Folge. Auch jetzt besteht zwar bereits die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche (auch nach der DSGV0) gebündelt für alle Betroffenen durchzusetzen. Dies geschieht aber bisher eher im Rahmen schwerfälliger Konstrukte, bei denen eine Abtretung der Ansprüche an einen professionellen Kläger erfolgt. Diese Hilfskonstruktion ist notwendig, da das deutsche Recht keine echte Sammelklage kennt.
Dies wird in Zukunft nicht mehr erforderlich sein. Die EU-Richtlinie zur Einführung der Verbandsklage sieht vor, dass bei Verstößen gegen verbraucherschützende Vorschriften – also auch gegen Regelungen der DSGVO – Verbraucherverbände künftig kollektiv Ansprüche geltend machen können.
Der deutsche Gesetzgeber muss den Auftrag der Richtlinie bis Mitte 2023 erfüllen und die europäische Verbandsklage in Deutschland einführen. Sollte der EuGH entscheiden, dass bei Schadensersatzansprüche nach der DSGVO keine Erheblichkeitsschwelle besteht, dürfte das Risiko der kollektiven Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Bagatellverstößen gegen die DSGVO erheblich steigen.
Die Risiken für Unternehmen sind hier nicht zu unterschätzen, wenn man bedenkt, dass Datenschutzverstöße häufig Massenereignisse sind, bei denen tausende oder hunderttausende Personen geschädigt werden.
Geht der Trend für Schadensersatzansprüche nach der DSGVO in Richtung eines Strafschadensersatzes nach US-amerikanischem Vorbild? Und welche Auswirkungen hätte damit einhergehend die Einführung der Verbandsklage in Deutschland?