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EU AI Act: Neue Konformitätsbewertung bei KI-Modell-Updates

EU AI Act: Neue Konformitätsbewertung bei KI-Modell-Updates

Niklas Hanitsch

Volljurist und Compliance-Experte

November 18, 2025

6 Minuten

Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.

Key Takeaways

Eine neue Konformitätsbewertung ist nur erforderlich, wenn ein KI-Update den Zweck oder das Risikoprofil des Systems wesentlich verändert.

Routinemäßige Verbesserungen wie Re-Training oder Bugfixes gelten nicht als wesentliche Änderungen und bleiben ohne erneute Zertifizierung zulässig.

Ein klarer interner Prozess zur Bewertung jedes Updates schützt Unternehmen vor Compliance-Verstößen und unnötigen Neuzertifizierungen.

Eine sorgfältige Dokumentation aller Änderungen ist entscheidend, um die Anforderungen des EU AI Acts jederzeit nachvollziehbar zu erfüllen.

Ihr Team hat gerade ein brillantes Update für Ihr KI-Modell veröffentlicht. Die Leistung ist gestiegen, die Genauigkeit ist besser und die Effizienz hat sich verdoppelt. Doch inmitten des Erfolgs meldet sich eine leise, aber drängende Frage: Müssen wir jetzt den gesamten, aufwendigen Zertifizierungsprozess nach dem EU AI Act von vorne beginnen?

Diese Unsicherheit ist eine der größten Herausforderungen für innovative Unternehmen im Zeitalter der KI. KI-Systeme sind keine statischen Produkte; sie leben von kontinuierlicher Verbesserung. Doch wie passt dieser dynamische Lebenszyklus zu den strengen, punktuellen Anforderungen der Compliance?

Die gute Nachricht ist: Nicht jedes Update wirft Sie zurück an den Start. Die schlechte Nachricht: Die Regeln zu ignorieren, kann zu empfindlichen Strafen und dem Entzug der Marktzulassung führen. Dieser Leitfaden bringt Klarheit und hilft Ihnen zu entscheiden, wann eine neue Konformitätsbewertung wirklich notwendig ist.

Das Fundament: Was ist eine Konformitätsbewertung nach dem AI Act?

Bevor wir über Updates sprechen, lassen Sie uns kurz das Fundament klären. Die Konformitätsbewertung ist ein zentrales Element des EU AI Acts. Stellen Sie es sich wie ein TÜV-Siegel speziell für Hochrisiko-KI-Systeme vor. Es ist ein formaler Prozess, bei dem der Anbieter eines KI-Systems nachweist, dass seine Technologie alle rechtlichen Anforderungen der EU erfüllt – insbesondere in Bezug auf Robustheit, Transparenz, Datensicherheit und Nichtdiskriminierung.

Dieses Verfahren muss erfolgreich durchlaufen werden, bevor ein Hochrisiko-KI-System auf den europäischen Markt gebracht oder in Betrieb genommen werden darf. Es schafft Vertrauen und stellt sicher, dass die Technologie sicher und im Einklang mit den europäischen Werten ist.

Konformitätsbewertung als Schutzmechanismus für KI-Systeme

Das Kernproblem: Warum KI-Updates eine Compliance-Herausforderung sind

Traditionelle Produkte werden einmal zertifiziert und bleiben dann oft über Jahre unverändert. KI-Modelle hingegen sind dynamisch. Sie werden ständig weiterentwickelt, um ihre Leistung zu verbessern, auf neue Daten zu reagieren oder Sicherheitslücken zu schließen. Dieser Prozess, oft als MLOps (Machine Learning Operations) bezeichnet, steht im direkten Spannungsfeld zur einmaligen Zertifizierung.

Hier liegt die Herausforderung: Ein Update kann unbeabsichtigt neue Risiken einführen oder die ursprüngliche Funktionsweise des Modells so verändern, dass die ursprüngliche Konformitätsbewertung ihre Gültigkeit verliert. Die EU-Gesetzgeber haben dies erkannt und eine klare Regel aufgestellt: Eine „wesentliche Änderung“ (substantial modification) eines bereits zertifizierten KI-Systems erfordert eine komplett neue Konformitätsbewertung.

Die entscheidende Frage: Wann ist eine Änderung „wesentlich“?

Der Begriff „wesentliche Änderung“ ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Debatte. Laut Artikel 43 des AI Acts liegt eine solche Änderung vor, wenn sie:

  1. Die Konformität des KI-Systems mit den Anforderungen des Gesetzes beeinflussen könnte.
  2. Den ursprünglich vorgesehenen Verwendungszweck des Systems ändert.

Das klingt zunächst abstrakt. Doch in der Praxis lässt sich dies in einen klaren Entscheidungsbaum übersetzen, der Teams hilft, ihre Updates zu bewerten.

Entscheidungsbaum zur Notwendigkeit einer neuen Konformitätsbewertung

Dieser Entscheidungsbaum hilft dabei zu verstehen, wann KI-Modell-Updates eine erneute Konformitätsbewertung nach dem EU AI Act erfordern, indem er wesentliche Änderungskriterien klar strukturiert.

Konkrete Beispiele: Was ist eine wesentliche Änderung – und was nicht?

Um das Ganze greifbarer zu machen, hier einige typische Szenarien aus der Praxis:

Beispiele für wesentliche Änderungen (neue Bewertung wahrscheinlich erforderlich):

  • Änderung des Verwendungszwecks: Ein KI-Modell, das ursprünglich zur Bonitätsprüfung entwickelt wurde, wird nun zur Bewertung von Bewerbern im HR-Bereich eingesetzt. Dies ist ein völlig neuer Kontext mit anderen Risiken und Diskriminierungspotenzialen.
  • Fundamentale Änderung der Architektur: Der Wechsel von einem einfachen Entscheidungsbaum-Modell zu einem komplexen Deep-Learning-Netzwerk. Die neue Architektur ist weniger transparent und birgt potenziell neue Risiken.
  • Änderung der Input-Daten: Ein System, das bisher nur Text analysiert hat, wird um eine Bilderkennungsfunktion erweitert. Dies verändert die Datenverarbeitung und die damit verbundenen Risiken (z.B. biometrische Daten) grundlegend.
  • Erweiterung auf eine schutzbedürftige Gruppe: Eine KI zur Therapieempfehlung, die bisher nur für Erwachsene zertifiziert war, wird für den Einsatz bei Kindern angepasst.

Beispiele für nicht wesentliche Änderungen (neue Bewertung wahrscheinlich nicht erforderlich):

  • Routinemäßiges Re-Training: Das Modell wird mit neuen, aber strukturell identischen Daten trainiert, um seine Genauigkeit zu erhalten und dem „Model Drift“ entgegenzuwirken. Der Verwendungszweck und die Kernlogik bleiben unverändert.
  • Kleinere Software-Patches: Ein Update zur Behebung einer Sicherheitslücke oder zur Verbesserung der Latenzzeit, das die Entscheidungslogik der KI nicht beeinflusst.
  • Leistungsoptimierungen: Änderungen am Code, die das Modell schneller machen, ohne seine Funktionsweise oder sein Risikoprofil zu verändern.
  • Änderungen an der Benutzeroberfläche: Anpassungen am User Interface (UI), die die Interaktion mit der KI erleichtern, aber nicht deren Kernfunktionen berühren.

Compliance im Lebenszyklus sicherstellen: So gehen Sie vor

Kontinuierliche Compliance ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines strategischen Prozesses. Anstatt bei jedem Update in Panik zu verfallen, sollten Unternehmen ein System etablieren, das Änderungen proaktiv bewertet.

  1. Dokumentieren Sie jede Änderung: Führen Sie ein detailliertes Änderungsprotokoll (Change Log). Was wurde wann, von wem und warum geändert? Diese Dokumentation ist die Grundlage für jede Bewertung.
  2. Implementieren Sie einen Bewertungsprozess: Definieren Sie klare interne Kriterien und Verantwortlichkeiten, um jede Änderung anhand der Frage „Ist sie wesentlich?“ zu prüfen. Dieser Prozess sollte Teil Ihres Qualitätsmanagementsystems sein.
  3. Fokus auf Risikomanagement: Fragen Sie sich bei jeder Änderung: Führt dieses Update neue Risiken ein oder erhöht es bestehende? Wenn die Antwort „Ja“ lautet, ist eine genauere Prüfung unerlässlich.
  4. Im Zweifel den Experten fragen: Bei Unsicherheiten ist es immer ratsam, Rücksprache mit Ihrer benannten Stelle (Notified Body) oder externen Compliance-Experten zu halten. Ein proaktives Gespräch ist besser als eine nachträgliche Beanstandung.

Die Fähigkeit, Compliance-Anforderungen effizient zu managen, ist heute ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Unternehmen wie SECJUR haben sich darauf spezialisiert, komplexe regulatorische Rahmenwerke durch intelligente Automatisierung zugänglich zu machen.

Tabelle zur Unterscheidung von KI-Modell-Updates

Diese Tabelle verankert das Verständnis, welche Arten von KI-Modell-Updates eine erneute Konformitätsbewertung erfordern und welche nicht – ein wichtiger Merkanker.

Der nächste Schritt: Von der Unsicherheit zur Compliance-Strategie

Die Dynamik von KI-Updates und die Strenge des EU AI Acts müssen kein Widerspruch sein. Der Schlüssel liegt in einem proaktiven und systematischen Ansatz zur Compliance. Anstatt Änderungen als bürokratische Hürde zu sehen, sollten sie als integraler Bestandteil des KI-Lebenszyklus verstanden und gemanagt werden.

Ein robustes Compliance-Framework ist kein Innovationshemmnis, sondern ein Leitplanke, die sichere und erfolgreiche Innovation erst ermöglicht. Es schafft Vertrauen bei Kunden und stellt sicher, dass Ihre Technologie nicht nur leistungsstark, sondern auch verantwortungsvoll ist. Bei SECJUR verstehen wir, dass die Vereinfachung dieser komplexen Prozesse Unternehmen befähigt, sich auf das zu konzentrieren, was sie am besten können: zukunftsweisende Technologien zu entwickeln.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist ein Hochrisiko-KI-System?

Der EU AI Act stuft KI-Systeme nach ihrem potenziellen Risiko ein. Hochrisiko-Systeme sind solche, die in kritischen Bereichen wie der medizinischen Diagnostik, der kritischen Infrastruktur, der Strafverfolgung oder im Personalwesen eingesetzt werden und ein hohes Risiko für die Grundrechte oder die Sicherheit von Personen darstellen.

Muss wirklich jedes kleine Update neu zertifiziert werden?

Nein. Das ist ein häufiges Missverständnis. Nur „wesentliche Änderungen“, die das Risikoprofil oder den Verwendungszweck des Systems grundlegend verändern, erfordern eine neue Konformitätsbewertung.

Wer ist für die Konformitätsbewertung verantwortlich?

Der Anbieter des KI-Systems ist primär für die Durchführung und Dokumentation der Konformitätsbewertung verantwortlich. Je nach Risikoklasse kann die Einbeziehung einer unabhängigen „benannten Stelle“ erforderlich sein.

Was passiert, wenn ich eine notwendige Neubewertung versäume?

Die Folgen können schwerwiegend sein. Sie reichen von hohen Geldstrafen (bis zu 35 Millionen Euro oder 7 % des weltweiten Jahresumsatzes) über die Anordnung, das System vom Markt zu nehmen, bis hin zu Reputationsschäden.

Niklas Hanitsch

Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.

Über SECJUR

SECJUR steht für eine Welt, in der Unternehmen immer compliant sind, aber nie an Compliance denken müssen. Mit dem Digital Compliance Office automatisieren Unternehmen aufwändige Arbeitsschritte und erlangen Compliance-Standards wie DSGVO, ISO 27001 oder TISAX® bis zu 50% schneller.

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