



Volljurist und Compliance-Experte
November 4, 2025
4 Minuten
Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.
Eine praxisnahe NIS2-Matrix schafft Klarheit und ermöglicht die sichere Einstufung von Sicherheitsvorfällen.
Klare Bewertungskriterien schützen vor Fehlentscheidungen und rechtlichen Risiken.
Im Incident-Management verankert, sorgt die Matrix für schnellere Entscheidungen und höhere Cyber-Resilienz.
Standardisierte Bewertungen stärken Vertrauen und machen Cybersicherheit messbar.
Es ist 3 Uhr morgens. Ein Alarm geht los – nicht der Wecker, sondern der rote Bereich in Ihrem System-Monitoring. Ein zentraler Server ist ausgefallen, der Webshop ist offline, und die ersten Support-Anfragen laufen ein. Inmitten des Chaos der Krisenbewältigung schießt Ihnen ein Gedanke durch den Kopf: „Ist das ein meldepflichtiger Vorfall nach NIS2?“
Diese Frage ist mehr als nur eine administrative Formalität. Von Ihrer Antwort hängen nicht nur empfindliche Bußgelder für Ihr Unternehmen ab, sondern potenziell auch die persönliche Haftung der Geschäftsführung. Die NIS2-Richtlinie verlangt die Meldung „erheblicher“ Sicherheitsvorfälle innerhalb von 24 Stunden. Aber was genau macht einen Vorfall „erheblich“? Die offiziellen Texte bleiben oft vage und lassen die Verantwortlichen im Ernstfall mit einer unsicheren Einschätzung allein.
Dieser Artikel schließt diese Lücke. Wir übersetzen die juristischen Anforderungen in eine praxisnahe Anleitung und stellen Ihnen ein konkretes Werkzeug an die Hand: eine Bewertungsmatrix, mit der Sie im Krisenfall schnell, sicher und nachvollziehbar entscheiden können.
Bevor wir in die Details der Bewertung eintauchen, lassen Sie uns das Fundament klären. Die NIS Richtlinie zielt darauf ab, das allgemeine Niveau der Cybersicherheit in der EU zu erhöhen. Ein zentrales Element dabei ist die Pflicht zur Meldung von Sicherheitsvorfällen.
Laut dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gilt ein Sicherheitsvorfall als erheblich, wenn er:
Diese Definitionen sind der offizielle Rahmen. Doch sie werfen sofort die entscheidenden Fragen auf: Wann ist eine Betriebsstörung „schwerwiegend“? Wie hoch ist ein „erheblicher“ finanzieller Verlust? Hier beginnt die Grauzone, die wir nun beleuchten werden.
Um von einer vagen Definition zu einer klaren Entscheidung zu gelangen, benötigen Sie ein System. Die folgende Bewertungsmatrix hilft Ihnen dabei, einen Vorfall anhand von fünf Schlüsselkriterien objektiv zu bewerten. Jedes Kriterium wird auf einer Skala von 1 (gering) bis 5 (kritisch) bewertet. Die Summe der Punkte gibt Ihnen eine klare Indikation zur Meldepflicht.
1. Dauer der Störung / Zeit bis zur Wiederherstellung
Hier geht es um die reine Zeit, in der Ihr wesentlicher Dienst nicht verfügbar war oder beeinträchtigt wurde.
2. Anzahl betroffener Nutzer / Systeme
Dieses Kriterium misst die Reichweite des Vorfalls. Sind nur wenige interne Systeme betroffen oder Tausende von Kunden?
3. Finanzielle Auswirkungen
Schätzen Sie den direkten finanziellen Schaden durch Umsatzausfall, Wiederherstellungskosten oder Vertragsstrafen.
4. Art der kompromittierten Daten
Nicht alle Daten sind gleich. Ein Leck von öffentlichen Marketing-Daten ist weniger kritisch als der Verlust sensibler Gesundheitsdaten.
5. Auswirkungen auf Dritte (Lieferkette, Kunden)
Ein Vorfall in Ihrem Unternehmen kann eine Kettenreaktion auslösen. Wenn Ihre Kunden oder Partner durch Ihren Ausfall ihre Dienste ebenfalls nicht erbringen können, erhöht das die Erheblichkeit.
Addieren Sie die Punkte aller fünf Kategorien.
Diese Matrix dient als fundierte Entscheidungshilfe. Wichtig ist, dass Sie Ihre Bewertung gut dokumentieren, um Ihre Entscheidung im Nachhinein gegenüber Behörden wie dem BSI rechtfertigen zu können. Mehr zur Rolle der Behörden finden Sie in unserem Artikel zu BSI und NIS2.
Theorie ist gut, Praxis ist besser. Lassen Sie uns die Matrix an drei fiktiven, aber realistischen Szenarien testen.
Szenario 1: DDoS-Angriff auf einen E-Commerce-Shop
Ein Online-Händler für Spezialwerkzeuge wird von einem DDoS-Angriff getroffen. Der Webshop ist für 6 Stunden nicht erreichbar.
Gesamtpunktzahl: 13 Punkte.
Ergebnis: Mittel. Der Vorfall hat potenziell erhebliche Auswirkungen, vor allem wegen der vollständigen Nichterreichbarkeit für Kunden. Eine Meldung ist dringend zu empfehlen.
Szenario 2: Ransomware auf internen Dateiserver
Ein Produktionsunternehmen entdeckt Ransomware auf einem internen Dateiserver. Die Produktion steht still, da die Fertigungspläne verschlüsselt sind. Die IT-Abteilung kann die Daten aus einem Backup von letzter Nacht wiederherstellen. Der Produktionsausfall beträgt 10 Stunden.
Gesamtpunktzahl: 15 Punkte.
Ergebnis: Mittel. Obwohl "nur" interne Systeme betroffen waren, sind die finanziellen und die Lieferketten-Auswirkungen signifikant. Eine Meldung ist auch hier geboten.
Szenario 3: Datenleck bei einem SaaS-Anbieter
Ein Software-as-a-Service-Anbieter stellt fest, dass durch eine Sicherheitslücke auf eine Datenbank mit Nutzerinformationen (Namen, E-Mail-Adressen, gehashte Passwörter) von 5 % seiner Kunden zugegriffen wurde. Der Dienst selbst war jederzeit verfügbar.
Gesamtpunktzahl: 12 Punkte.
Ergebnis: Mittel. Obwohl die direkten Auswirkungen auf den Dienst gering waren, sind die Folgen für die betroffenen Kunden und der Vertrauensverlust erheblich. Die Meldung ist stark zu empfehlen, auch aufgrund der parallelen Meldepflichten aus der DSGVO.
Die Bewertungsmatrix gibt Ihnen Sicherheit im Ernstfall. Doch die beste Vorbereitung findet statt, bevor der Alarm losgeht.
Für eine umfassende Strategie, die über die Meldepflichten hinausgeht, ist ein tiefes Verständnis der allgemeinen Anforderungen an die Cybersicherheit in der EU entscheidend. Gerade für die Führungsebene bietet unser Leitfaden NIS2 für KMU wertvolle Einblicke.
Die Einschätzung der Erheblichkeit eines Sicherheitsvorfalls ist eine der größten Herausforderungen unter NIS2. Doch mit einem systematischen Ansatz und den richtigen Werkzeugen können Sie diese Unsicherheit überwinden. Nutzen Sie unsere Bewertungsmatrix, um im entscheidenden Moment Klarheit zu schaffen, Ihre Organisation zu schützen und Ihre Compliance-Pflichten souverän zu erfüllen.
Antwort: Wahrscheinlich ja. Nach unserer Matrix wäre die Dauer (2 Punkte) und die Anzahl der betroffenen Nutzer (5 Punkte) bereits signifikant. Selbst bei geringen finanziellen Schäden (z.B. 2 Punkte) erreichen Sie schnell eine Gesamtpunktzahl von 10-11, was den Vorfall in den meldepflichtigen Bereich rückt.
Antwort: Das hängt vom Kontext ab. Wenn 500 Kunden nur 0,1 % Ihrer Gesamtkundenzahl ausmachen, ist die Reichweite gering (1-2 Punkte). Die Art der Daten (allgemeine pD) ergibt 3 Punkte. Wenn keine weiteren Systeme oder Dritte betroffen sind, landen Sie wahrscheinlich im unteren Punktebereich. Aber Achtung: Die DSGVO-Meldepflicht an die Datenschutzbehörde besteht hier sehr wahrscheinlich unabhängig von NIS2!
Antwort: Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Nutzen Sie die Bewertungsmatrix als Vorlage. Füllen Sie sie für den Vorfall aus, kommen Sie zu Ihrer Gesamtpunktzahl und schreiben Sie eine kurze Begründung, warum Sie den Vorfall als "nicht erheblich" eingestuft haben. Heften Sie diese Bewertung in Ihrem internen Vorfall-Register ab. So können Sie bei einer späteren Prüfung jederzeit nachweisen, dass Sie eine sorgfältige und fundierte Entscheidung getroffen haben.
Antwort: Nein. Die Erstmeldung innerhalb von 24 Stunden dient als "Frühwarnung". Sie müssen nur angeben, dass ein potenziell erheblicher Vorfall stattgefunden hat, welche Art von Vorfall es ist (z.B. Ransomware, DDoS) und welche Bereiche betroffen sind. Detaillierte Analysen und Abschlussberichte folgen später (innerhalb von 72 Stunden bzw. einem Monat). Der häufigste Fehler ist, auf vollständige Informationen zu warten und dadurch die 24-Stunden-Frist zu verpassen.

Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.
SECJUR steht für eine Welt, in der Unternehmen immer compliant sind, aber nie an Compliance denken müssen. Mit dem Digital Compliance Office automatisieren Unternehmen aufwändige Arbeitsschritte und erlangen Compliance-Standards wie DSGVO, ISO 27001 oder TISAX® bis zu 50% schneller.
Automatisieren Sie Ihre Compliance Prozesse mit dem Digital Compliance Office
Everything you need to know about the product and billing.
.avif)
TISAX® – dieses Wort fällt öfters, wenn es um Informationssicherheitsmanagementsysteme (ISMS) geht. Es handelt sich hierbei um einen speziellen Standard in der Informationssicherheit. Wir beleuchten, was es mit TISAX® auf sich hat. In diesem Artikel erfahren Sie: Was genau TISAX® ist und wer es entwickelt hat, für welche Unternehmen sich das sogenannte TISAX®-Label besonders eignet und welche Vorteile eine TISAX®-Zertifizierung mit sich bringt. Darüber hinaus zeigen wir Ihnen die Besonderheiten, Vorteile und Anforderungen von TISAX® auf und erklären Ihnen den damit einhergehenden Prozess.

Ein Cybervorfall kann nach NIS2 und DSGVO mehrere Meldepflichten gleichzeitig auslösen, mit unterschiedlichen Fristen, Behörden und Risiken. Erfahren Sie, wie Sie Doppelmeldungen vermeiden, Prioritäten richtig setzen und einen klaren, rechtssicheren Meldeplan etablieren. Dieser Leitfaden zeigt praxisnah, wie Sie Chaos im Ernstfall verhindern und Ihre Cyber- und Datenschutz-Compliance strategisch verbinden.

Seit 2011 wurde mit dem Gedanken gespielt, das Datenschutzrecht auf europäischer Ebene neu zu evaluieren und gegebenenfalls auf neue Beine zu stellen. Unsere Experten zeigen, wie die Datenschutzgrundverordnung unser Verständnis vom Datenschutz verändert hat.