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NIS2: Incident Response Plan effektiv umsetzen

NIS2: Incident Response Plan effektiv umsetzen

Nandini Suresh

Informationssicherheits- und Datenschutzexpertin

November 19, 2025

5 Minuten

Nandini Suresh ist Compliance Expert bei SECJUR und spezialisiert auf Datenschutz, Cybersecurity und geistiges Eigentum. Bevor sie zu SECJUR kam, war sie unter anderem bei Bird & Bird sowie Lorenz Seidler Gossel tätig und betreute dort internationale Mandate im Marken- und Datenschutzrecht. Durch ihre Erfahrung an der Schnittstelle von Recht, Technologie und Compliance verbindet sie juristische Präzision mit einem tiefen Verständnis für die regulatorischen Anforderungen moderner Unternehmen.

Key Takeaways

Ein strukturierter Incident Response Plan (IRP) ist unter NIS2 Pflicht und entscheidet im Ernstfall über Reaktionsgeschwindigkeit und Schadenbegrenzung.

Nur erhebliche Sicherheitsvorfälle lösen die strengen NIS2-Meldepflichten aus, weshalb eine klare Klassifizierung entscheidend ist.

Die 24- und 72-Stunden-Fristen erfordern eingespielte Prozesse, die Rollen, Kommunikation und Maßnahmen eindeutig regeln.

Jede Incident-Response-Übung steigert die Resilienz des Unternehmens und verbessert den Plan kontinuierlich.

Stellen Sie sich vor, es ist Montagmorgen. Ein Kollege meldet, dass er nicht auf die Server zugreifen kann. Kurz darauf erscheint auf mehreren Bildschirmen eine Lösegeldforderung. Ein Ransomware-Angriff. In diesem Moment beginnt eine Uhr zu ticken, die Sie nicht ignorieren können: die 24-Stunden-Frist der NIS2-Richtlinie für Ihre Erstmeldung an die Behörden.

Sind Sie darauf vorbereitet? Haben Sie einen klaren Plan, wer was wann zu tun hat? Für viele Unternehmen ist die Antwort ein beunruhigendes „Nein“. Doch Panik ist kein Plan. Ein durchdachter Incident-Response-Plan ist kein Luxus mehr, sondern eine gesetzliche Pflicht und die beste Versicherung gegen das digitale Chaos.

Dieser Leitfaden ist Ihr Kaffee mit einem erfahrenen Freund: Wir übersetzen das Juristendeutsch in verständliche, umsetzbare Schritte und zeigen Ihnen, wie Sie ein robustes Notfallmanagement aufbauen, das im Ernstfall nicht nur funktioniert, sondern Ihr Unternehmen schützt.

Die NIS2-Notfall-Grundlagen: Was Sie wissen müssen, bevor Sie starten

Bevor wir in die Praxis einsteigen, müssen wir zwei zentrale Begriffe klären. Sie bilden die Grundlage für Ihr gesamtes Handeln im Rahmen der NIS2-Anforderungen.

Was ist ein Incident Response Plan (IRP) und warum ist er Pflicht?

Ein Incident Response Plan (IRP) – zu Deutsch ein Plan zur Reaktion auf Sicherheitsvorfälle – ist im Grunde Ihr vordefiniertes Drehbuch für den digitalen Notfall. Er legt exakt fest, welche Schritte Ihr Unternehmen unternimmt, wenn ein Sicherheitsvorfall erkannt wird. Das Ziel: den Schaden so schnell wie möglich zu erkennen, zu begrenzen, zu beseitigen und aus dem Vorfall zu lernen.

Die NIS2-Richtlinie macht einen solchen Plan zur Pflicht. Artikel 21 fordert von betroffenen Unternehmen, geeignete und verhältnismäßige technische, operative und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um die Risiken für ihre Netz- und Informationssysteme zu beherrschen. Das „Management von Sicherheitsvorfällen“ ist hierbei ein explizit genannter Kernpunkt. Ohne einen IRP handeln Sie im Blindflug – und verstoßen gegen das Gesetz.

Der entscheidende Unterschied: „Sicherheitsvorfall“ vs. „erheblicher Sicherheitsvorfall“

Nicht jeder IT-Schluckauf ist gleich ein NIS2-Notfall. Die Richtlinie unterscheidet zwischen einem allgemeinen „Sicherheitsvorfall“ und einem „erheblichen Sicherheitsvorfall“. Nur letzterer löst die strengen Meldepflichten aus.

  • Sicherheitsvorfall: Jedes Ereignis, das die Vertraulichkeit, Integrität oder Verfügbarkeit von Netz- und Informationssystemen oder der von ihnen verarbeiteten Daten beeinträchtigen kann. Ein einzelner Phishing-Versuch, der vom Spam-Filter abgefangen wird, wäre ein Beispiel.
  • Erheblicher Sicherheitsvorfall: Ein Vorfall, der eine schwerwiegende Störung des Betriebs wesentlicher Dienste verursacht oder verursachen kann oder andere Einrichtungen oder die Allgemeinheit erheblich beeinträchtigt. Der oben genannte Ransomware-Angriff, der die Produktion lahmlegt, fällt klar in diese Kategorie.

Die genaue Abgrenzung ist entscheidend, denn sie bestimmt, ob die Uhr für Ihre Meldung zu ticken beginnt.

Diese Grafik verdeutlicht anschaulich den Unterschied zwischen einem Sicherheitsvorfall und einem erheblichen Sicherheitsvorfall nach NIS2, zeigt die Dringlichkeit der Meldepflicht bei erheblichen Vorfällen und unterstützt das Verständnis der zentralen Begrifflichkeiten.

Der 6-Phasen-Notfallplan für die Praxis: Vom Chaos zur Kontrolle

Ein effektiver Notfallplan folgt einer bewährten Struktur, die den gesamten Lebenszyklus eines Vorfalls abdeckt. Angelehnt an international anerkannte Standards wie die des NIST (National Institute of Standards and Technology), gliedert sich der Prozess in sechs logische Phasen.

Das Flussdiagramm zeigt den praxisnahen Ablauf eines NIS2-konformen Incident-Response-Plans in sechs klar abgegrenzten Phasen. Dadurch wird die Komplexität überschaubar und nachvollziehbar dargestellt.

Phase 1: Vorbereitung – Die Basis für den Ernstfall

Dies ist die wichtigste Phase und findet statt, bevor etwas passiert. Gute Vorbereitung entscheidet darüber, ob Sie im Ernstfall agieren oder nur reagieren.

  • Team zusammenstellen: Benennen Sie ein Computer Incident Response Team (CIRT) mit klaren Rollen und Verantwortlichkeiten (Leitung, Technik, Kommunikation, Recht). Jeder muss wissen, was seine Aufgabe ist.
  • Tools definieren: Stellen Sie sicher, dass Sie die notwendigen Werkzeuge für Erkennung, Analyse und Kommunikation zur Hand haben (z. B. SIEM-Systeme, Antivirus-Software, sichere Kommunikationskanäle).
  • Plan dokumentieren und trainieren: Schreiben Sie den Plan auf und sorgen Sie dafür, dass jeder im Team ihn kennt. Führen Sie regelmäßig Übungen und Simulationen durch.

Phase 2: Identifizierung & Analyse – Wissen, was los ist

Hier geht es darum, einen potenziellen Vorfall zu erkennen und schnell zu bewerten, wie gravierend er ist.

  • Erkennung: Sammeln Sie Alarme und Hinweise aus verschiedenen Quellen (Logfiles, System-Warnungen, Nutzermeldungen).
  • Analyse: Bewerten Sie die Hinweise. Handelt es sich um einen Fehlalarm oder einen echten Vorfall? Wie weitreichend ist der potenzielle Schaden?
  • Klassifizierung: Ordnen Sie den Vorfall einer Kategorie zu (z. B. Malware, unbefugter Zugriff, Denial-of-Service) und bestimmen Sie, ob er als „erheblich“ einzustufen ist.

Phase 3: Eindämmung – Den Schaden begrenzen

Sobald ein erheblicher Vorfall bestätigt ist, müssen Sie die Ausbreitung sofort stoppen.

  • Kurzfristige Eindämmung: Isolieren Sie betroffene Systeme vom Netzwerk, um eine weitere Verbreitung zu verhindern.
  • Langfristige Eindämmung: Erstellen Sie saubere Backups von nicht betroffenen Systemen, um die Wiederherstellung vorzubereiten.

Phase 4: Beseitigung – Die Ursache entfernen

Nachdem der Vorfall eingedämmt ist, muss die eigentliche Ursache beseitigt werden.

  • Ursachenforschung: Finden Sie heraus, wie der Angreifer eingedrungen ist (z. B. eine Sicherheitslücke, ein kompromittiertes Passwort).
  • Bereinigung: Entfernen Sie die Malware, schließen Sie die Sicherheitslücke und setzen Sie kompromittierte Konten zurück.

Phase 5: Wiederherstellung – Zurück zum Normalbetrieb

Ziel ist es, den Normalbetrieb so schnell und sicher wie möglich wieder aufzunehmen.

  • Systeme wiederherstellen: Spielen Sie saubere Backups auf die bereinigten Systeme auf.
  • Testen und Überwachen: Überprüfen Sie alle wiederhergestellten Systeme gründlich auf ihre Funktionalität und überwachen Sie sie intensiv auf erneute Anzeichen einer Kompromittierung.
  • Offizielle Wiederaufnahme: Geben Sie die Systeme erst dann wieder für den Normalbetrieb frei, wenn Sie sicher sind, dass die Bedrohung vollständig beseitigt ist.

Phase 6: Lessons Learned – Aus dem Vorfall lernen

Nach dem Sturm ist vor dem Sturm. Jeder Vorfall ist eine Chance, besser zu werden.

  • Bericht erstellen: Dokumentieren Sie den gesamten Ablauf des Vorfalls, die getroffenen Maßnahmen und die Ergebnisse.
  • Analyse-Meeting: Führen Sie ein Meeting mit allen Beteiligten durch. Was lief gut? Was lief schlecht? Wo gibt es Verbesserungspotenzial?
  • Plan anpassen: Aktualisieren Sie Ihren Incident Response Plan, Ihre Sicherheitsmaßnahmen und Schulungen basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen.

Die NIS2-Meldepflichten im Griff: Ein Zeitplan für den Ernstfall

Einer der größten Stressfaktoren von NIS2 sind die strikten, mehrstufigen Meldepflichten an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und/oder die zuständige Aufsichtsbehörde.

Der 3-stufige Meldeprozess

Bei einem erheblichen Sicherheitsvorfall müssen Sie drei Fristen einhalten:

  1. Frühwarnung (innerhalb von 24 Stunden): Eine erste, unverzügliche Meldung darüber, dass ein Vorfall stattgefunden hat und ob ein krimineller Hintergrund vermutet wird. Details sind hier noch nicht entscheidend.
  2. Folgemeldung (innerhalb von 72 Stunden): Eine Aktualisierung der Erstmeldung mit einer ersten Bewertung des Vorfalls, seiner Schwere und seiner Auswirkungen.
  3. Abschlussbericht (innerhalb eines Monats): Ein finaler Bericht mit einer detaillierten Beschreibung des Vorfalls, der Ursache, der getroffenen Maßnahmen und der grenzüberschreitenden Auswirkungen.

Diese Zeitleisten-Infografik visualisiert verständlich die zeitlichen Fristen und Anforderungen der NIS2-Meldepflichten, unterstützt so das Erinnern und richtige Handeln bei Sicherheitsvorfällen.

NIS2 und DSGVO: Zwei Meldepflichten, ein Prozess?

Ein wichtiger Punkt, der oft für Verwirrung sorgt: Wenn bei einem Sicherheitsvorfall auch personenbezogene Daten betroffen sind, greift zusätzlich die 72-Stunden-Meldepflicht der DSGVO an die zuständige Datenschutzbehörde. Diese beiden Meldepflichten existieren parallel. Ein guter Incident Response Plan integriert beide Prozesse, um sicherzustellen, dass keine Frist verpasst und keine Behörde vergessen wird.

Vom Wissen zum Handeln: Ihre nächsten Schritte

Ein Incident Response Plan ist kein Dokument, das in der Schublade verstaubt – er ist ein lebendiges Werkzeug, das Ihr Unternehmen im digitalen Zeitalter schützt. Die Erstellung mag wie eine große Aufgabe erscheinen, aber der erste Schritt ist der wichtigste.

Beginnen Sie noch heute mit Phase 1: Sprechen Sie mit Ihrer IT und der Geschäftsführung und stellen Sie ein kleines, aber schlagkräftiges Team zusammen. Definieren Sie, wer im Ernstfall den Hut aufhat. Allein dieser Schritt bringt mehr Klarheit und Sicherheit als wochenlanges Zögern. Ein effektiver Notfallplan für NIS2 ist die Grundlage für die Resilienz Ihres Unternehmens.

Für Unternehmen mit industriellen Steuerungsanlagen (OT/ICS) gelten zudem besondere Anforderungen, denn hier kann ein digitaler Vorfall physische Konsequenzen haben. Dies erfordert ein spezialisiertes NIS2 Incident Management for OT, das die besonderen Gegebenheiten dieser Umgebungen berücksichtigt.

Der Weg zur NIS2-Compliance ist ein Marathon, kein Sprint. Aber mit einem klaren Plan und den richtigen Schritten können Sie sicherstellen, dass Sie für den unvermeidlichen digitalen Notfall nicht nur gewappnet, sondern ihm einen Schritt voraus sind.

FAQ: Häufige Fragen zur NIS2 Incident Response Planung

Muss unser kleines Unternehmen das wirklich alles umsetzen?

Ja, wenn Ihr Unternehmen in einen der von NIS2 abgedeckten Sektoren fällt und die Schwellenwerte für mittlere Unternehmen (ab 50 Mitarbeiter oder 10 Mio. € Jahresumsatz) überschreitet, sind diese Maßnahmen verpflichtend. Der Plan muss jedoch „verhältnismäßig“ sein. Ein Plan für ein 60-Personen-Unternehmen wird anders aussehen als der eines Konzerns, aber die grundlegenden Phasen und Verantwortlichkeiten müssen definiert sein.

Was passiert, wenn wir die 24-Stunden-Frist verpassen?

Das Versäumen der Meldepflichten kann zu empfindlichen Bußgeldern führen. Viel wichtiger ist jedoch, dass eine schnelle Meldung an das BSI Ihnen auch helfen kann. Die Behörde kann Warnungen an andere potenziell betroffene Unternehmen herausgeben und so zur kollektiven Sicherheit beitragen.

Welche Tools brauchen wir mindestens?

Für den Anfang sind grundlegende Werkzeuge entscheidend: eine zuverlässige Antivirus-Lösung, eine Firewall, ein System zur Protokollierung (Logging) von Ereignissen und ein sicherer, vom Hauptnetzwerk unabhängiger Kommunikationskanal für das Notfallteam (z. B. ein Messenger-Dienst auf dedizierten Geräten).

Nandini Suresh

Nandini Suresh ist Compliance Expert bei SECJUR und spezialisiert auf Datenschutz, Cybersecurity und geistiges Eigentum. Bevor sie zu SECJUR kam, war sie unter anderem bei Bird & Bird sowie Lorenz Seidler Gossel tätig und betreute dort internationale Mandate im Marken- und Datenschutzrecht. Durch ihre Erfahrung an der Schnittstelle von Recht, Technologie und Compliance verbindet sie juristische Präzision mit einem tiefen Verständnis für die regulatorischen Anforderungen moderner Unternehmen.

Über SECJUR

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