EU AI Act: Compliance für KI in der Personalverwaltung
EU AI Act: Compliance für KI in der Personalverwaltung
Niklas Hanitsch
Volljurist und Compliance-Experte
December 2, 2025
5 Minuten
Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.
Key Takeaways
Die meisten KI-Systeme in HR-Prozessen gelten unter dem EU AI Act als Hochrisiko-Anwendungen.
Unternehmen bleiben auch bei externer HR-Software vollständig in der Compliance-Verantwortung.
Menschliche Aufsicht ist Pflicht und darf nicht durch Automatisierung ersetzt werden.
Frühzeitige Dokumentation schützt vor hohen Bußgeldern und Reputationsschäden.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen bei einer Tasse Kaffee und gehen Ihre HR-Prozesse durch. Das Tool, das Ihnen hilft, Bewerbungen vorzusortieren, das System, das die Leistungsentwicklung Ihrer Mitarbeiter analysiert – alltägliche Helfer, die Ihre Arbeit einfacher machen. Was wäre, wenn diese vertrauten Werkzeuge plötzlich als "Hochrisiko-Systeme" eingestuft würden?
Genau das ist mit dem EU AI Act für viele HR-Abteilungen Realität geworden. Dieses neue Gesetz ist keine ferne Zukunftsmusik; es betrifft die Art und Weise, wie Sie heute und morgen Talente finden, fördern und verwalten. Doch anstatt in Panik zu verfallen, lassen Sie uns das Ganze entwirren. Dieser Leitfaden ist Ihr vertrauenswürdiger Begleiter, der juristisches Fachchinesisch in klare, umsetzbare Schritte für Ihren HR-Alltag übersetzt. Besonders für Unternehmen im Mittelstand, die oft ohne große Rechtsabteilungen auskommen müssen, ist es entscheidend, die neuen Pflichten zu verstehen und pragmatisch anzugehen. Eine durchdachte Strategie für Compliance im Mittelstand ist hier der Schlüssel zum Erfolg.
Der EU AI Act in 5 Minuten für Personaler
Bevor wir in die Details eintauchen, verschaffen wir uns einen schnellen Überblick. Der EU AI Act ist kein Gesetz, das künstliche Intelligenz verbieten will. Stattdessen verfolgt er einen risikobasierten Ansatz. Das bedeutet, je höher das potenzielle Risiko eines KI-Systems für die Rechte und die Sicherheit von Menschen ist, desto strenger sind die Regeln.
Man kann sich das wie eine Pyramide vorstellen:
Inakzeptables Risiko (Verboten): Systeme, die eine klare Bedrohung für Menschen darstellen, wie z. B. Social Scoring durch Regierungen, sind verboten.
Hohes Risiko (Streng reguliert): Hier wird es für die Personalabteilung spannend. KI-Systeme, die in kritischen Bereichen wie der Einstellung, Beförderung oder Kündigung von Mitarbeitern eingesetzt werden, fallen fast immer in diese Kategorie. Sie sind erlaubt, müssen aber strenge Auflagen erfüllen.
Begrenztes Risiko: KI mit geringerem Risiko, wie z. B. Chatbots, unterliegt lediglich leichten Transparenzpflichten. Nutzer müssen wissen, dass sie mit einer KI interagieren.
Minimales Risiko: Die meisten KI-Anwendungen, wie Spamfilter oder KI in Videospielen, fallen hierunter und sind frei von zusätzlichen Auflagen.
Ein entscheidender Punkt, den Sie verstehen müssen, ist der Unterschied zwischen Anbieter (der Entwickler der KI-Software) und Anwender (Ihr Unternehmen, das die Software einsetzt). Der AI Act nimmt beide in die Pflicht. Sie können die Verantwortung also nicht einfach an Ihren Softwarehersteller abgeben.
Die Hochrisiko-Matrix: Welche Ihrer HR-Tools sind betroffen?
Jetzt kommt der "Aha-Moment" für die meisten Personaler: Ein Großteil der spezialisierten HR-Technologie wird als Hochrisiko-KI eingestuft. Warum? Weil Entscheidungen, die von diesen Systemen getroffen oder beeinflusst werden, das Leben und die Karriere von Menschen maßgeblich prägen können.
Hier ist eine einfache Matrix, die Ihnen hilft, Ihre Tools einzuordnen:
Recruiting
Beispiel für KI-Anwendung: Automatisierte Analyse vonLebensläufen, Vorauswahl von Kandidaten, Video-Interviews mit Emotionserkennung(letzteres ist i.d.R. verboten)
Risikostufe: Hochrisiko
Wichtigste Pflichten für Sie als Anwender: Menschliche Aufsicht sicherstellen, Protokollierung der Nutzung, Prüfung der Anbieterdokumentation
Performance Management
Beispiel für KI-Anwendung: KI-gestützte Leistungsbewertung,Analyse von Produktivitätsdaten zur Vorhersage von Kündigungsrisiken
Risikostufe: Hochrisiko
Wichtigste Pflichten für Sie als Anwender: Sicherstellen, dass die Ergebnisse überprüfbar und fair sind, Mitarbeiter transparent informieren
Personalentwicklung
Beispiel für KI-Anwendung: KI-basierte Empfehlungen fürBeförderungen, Nachfolgeplanung oder Weiterbildungsmaßnahmen
Risikostufe: Hochrisiko
Wichtigste Pflichten für Sie als Anwender: Diskriminierung durch algorithmische Voreingenommenheitvermeiden, Menschliche Letztentscheidung sicherstellen
Personalverwaltung
Beispiel für KI-Anwendung: Automatisierte Zuweisung vonAufgaben und Schichten basierend auf Leistungsdaten
Risikostufe: Hochrisiko
Wichtigste Pflichten für Sie als Anwender: Überwachung der Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen, Einbindung des Betriebsrats
Wenn Sie auch nur eines dieser Systeme im Einsatz haben, müssen Sie jetzt handeln.
Ihr 7-Schritte-Compliance-Fahrplan
Die gute Nachricht ist: Sie müssen das Rad nicht neu erfinden. Der Weg zur Compliance lässt sich in sieben überschaubare Schritte unterteilen. Dieser Fahrplan gibt Ihnen eine klare Struktur, um das komplexe Thema systematisch anzugehen.
Schritt 1: Inventarisierung
Erstellen Sie eine Liste aller Software-Tools in Ihrer HR-Abteilung. Fragen Sie sich bei jedem Tool: Nutzt es künstliche Intelligenz, um Entscheidungen zu treffen oder vorzubereiten?
Schritt 2: Risikobewertung
Nutzen Sie die Hochrisiko-Matrix von oben, um jedes KI-System zu klassifizieren. Dokumentieren Sie Ihre Entscheidung und die Begründung.
Schritt 3: Anbieter-Audit
Fordern Sie von Ihren Softwareanbietern die notwendige Dokumentation an. Dazu gehören die Konformitätserklärung, die technische Dokumentation und Informationen über das Risikomanagementsystem der KI. Anbieter, die auf bestimmte Branchen spezialisiert sind, wie beispielsweise die für automatisierte Compliance für die Fertigungsindustrie, sollten hier besonders detaillierte Nachweise liefern können.
Schritt 4: Interne Richtlinien festlegen
Erstellen Sie klare Nutzungsrichtlinien für KI in Ihrer Abteilung. Wer darf die Systeme wie nutzen? Welche Entscheidungen dürfen niemals allein von einer KI getroffen werden?
Schritt 5: Menschliche Aufsicht definieren
Dies ist ein Kernstück des AI Acts. Definieren und dokumentieren Sie, wie die "menschliche Aufsicht" praktisch aussieht. Wer überprüft die Ergebnisse der KI? Wer hat die Befugnis, Entscheidungen zu korrigieren oder zu widerrufen? Diese Prinzipien der Kontrolle und des Risikomanagements sind auch zentral für Standards wie ISO 27001, was Synergien in der Umsetzung ermöglicht.
Schritt 6: Dokumentation und Protokollierung
Als Anwender müssen Sie die Nutzung der Hochrisiko-Systeme protokollieren (sogenannte Logs). Diese Aufzeichnungen sind entscheidend, um im Fall einer Prüfung nachweisen zu können, dass Sie die Systeme vorschriftsgemäß eingesetzt haben.
Schritt 7: Betriebsrat und Mitarbeiter informieren
Transparenz ist der Schlüssel. Informieren Sie Ihre Mitarbeiter darüber, wo und wie KI-Systeme eingesetzt werden. Binden Sie den Betriebsrat frühzeitig in den Prozess ein, da der Einsatz solcher Systeme mitbestimmungspflichtig ist.
Typische Fehler, die Sie vermeiden sollten
Auf dem Weg zur Compliance lauern ein paar typische Fallstricke. Wenn Sie diese kennen, können Sie sie gezielt umschiffen.
Fehler #1: Denken, DSGVO-Konformität sei ausreichend.
Der AI Act und die DSGVO überschneiden sich zwar, sind aber zwei verschiedene Regelwerke. Der AI Act stellt Anforderungen an die Sicherheit, Robustheit und Fairness der KI-Technologie selbst, während die DSGVO den Schutz personenbezogener Daten regelt. Konformität mit dem einen bedeutet nicht automatisch Konformität mit dem anderen.
Fehler #2: Den Software-Anbieter allein in die Pflicht nehmen.
Wie bereits erwähnt, haben sowohl Anbieter als auch Anwender klare Pflichten. Sich darauf zu verlassen, dass der Hersteller schon alles regeln wird, ist ein teurer Fehler. Sie als Anwender sind für die korrekte Nutzung, die menschliche Aufsicht und die Information der Mitarbeiter verantwortlich.
Fazit: Von der Verpflichtung zur Chance
Der EU AI Act mag auf den ersten Blick wie eine weitere bürokratische Hürde wirken. Doch bei genauerem Hinsehen ist er eine Chance: eine Chance, Vertrauen in neue Technologien aufzubauen, für fairere und transparentere HR-Prozesse zu sorgen und sich als verantwortungsvoller Arbeitgeber zu positionieren.
Indem Sie jetzt proaktiv handeln, schützen Sie nicht nur Ihr Unternehmen vor empfindlichen Strafen, sondern legen auch den Grundstein für einen ethischen und zukunftssicheren Einsatz von KI in der Personalverwaltung. Beginnen Sie mit dem ersten Schritt Ihres Fahrplans und machen Sie Compliance zu einem integralen Bestandteil Ihrer HR-Strategie. Um Ihnen den Einstieg zu erleichtern, finden Sie nützliche Checklisten und Vorlagen, die Ihnen helfen, die Anforderungen strukturiert anzugehen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was genau ist der EU AI Act?
Der EU AI Act (dt. KI-Verordnung) ist das erste umfassende Gesetz der Welt zur Regulierung von künstlicher Intelligenz. Sein Ziel ist es, Innovation zu fördern und gleichzeitig die Grundrechte und die Sicherheit der EU-Bürger zu schützen.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Das Gesetz gilt für alle Unternehmen, die KI-Systeme in der EU in Verkehr bringen (Anbieter) oder nutzen (Anwender), unabhängig vom Standort des Unternehmens. Die Größe spielt dabei keine Rolle, auch wenn es für KMU einige Erleichterungen geben soll.
Was passiert bei Nichteinhaltung?
Die Strafen sind empfindlich und können bis zu 35 Millionen Euro oder 7 % des weltweiten Jahresumsatzes betragen – je nachdem, welcher Betrag höher ist.
Ist mein Excel-Sheet mit ein paar Formeln jetzt auch eine Hochrisiko-KI?
Nein. Der AI Act hat eine klare Definition von KI-Systemen, die über einfache Algorithmen oder statistische Modelle hinausgehen. Eine simple Excel-Formel fällt nicht darunter.
Wie kann mir eine Plattform bei der Umsetzung helfen?
Spezialisierte Compliance-Plattformen können den Prozess erheblich vereinfachen. Sie helfen bei der Inventarisierung, führen Sie durch die Risikobewertung und stellen sicher, dass alle notwendigen Dokumente zentral verwaltet und auf dem neuesten Stand gehalten werden. Solche Tools automatisieren viele der manuellen Schritte und ermöglichen eine effiziente EU AI Act Compliance.
Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.
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