ISO 27001: Nichtkonformitäten und Korrekturen sicher umsetzen
ISO 27001: Nichtkonformitäten und Korrekturen sicher umsetzen
Amin Abbaszadeh
Informationssicherheitsexperte
November 18, 2025
5 Minuten
Amin Abbaszadeh ist Informationssicherheitsexperte bei SECJUR und unterstützt Unternehmen dabei, Informationssicherheits- und Compliance-Standards wie ISO 27001 effektiv umzusetzen. Zuvor war er als Senior Consultant Cybersecurity bei NTT DATA tätig, wo er Projekte im Bereich IT-Compliance und ISMS verantwortete. Durch seine interdisziplinäre Erfahrung in Technik, Beratung und Management verbindet Amin strategisches Denken mit praxisnaher Umsetzung – immer mit dem Ziel, nachhaltige Sicherheits- und Compliance-Strukturen zu schaffen.
Key Takeaways
Nichtkonformitäten sind kein Rückschlag, sondern eine wertvolle Chance, Ihr ISMS gezielt und nachhaltig zu verbessern.
Der Unterschied zwischen Korrektur und Korrekturmaßnahme ist zentral, um Probleme dauerhaft statt nur kurzfristig zu beheben.
Ein klar strukturierter 6-Schritte-Prozess schafft Audit-Sicherheit und stellt die lückenlose Behandlung jeder Abweichung sicher.
Nachhaltige Informationssicherheit entsteht erst, wenn Ursachen tiefgehend analysiert und wirksame Verbesserungen konsequent umgesetzt werden.
Stellen Sie sich vor, der Auditor sitzt Ihnen gegenüber. Nach Tagen intensiver Prüfung fällt der Satz: „Wir haben hier eine Nichtkonformität festgestellt.“ Für viele fühlt sich das an wie eine Niederlage. Ein Makel im sonst so sorgfältig aufgebauten Informationssicherheits-Managementsystem (ISMS).
Aber was, wenn wir diesen Moment umdeuten? Was, wenn eine Nichtkonformität kein Scheitern ist, sondern die wertvollste Ressource für echte, nachhaltige Verbesserung?
Genau darum geht es in diesem Leitfaden. Wir verwandeln die oft gefürchtete Dokumentationspflicht in ein schlagkräftiges Werkzeug. Sie werden lernen, wie Sie Nichtkonformitäten nicht nur verwalten, sondern sie als Motor für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess nutzen. Wir klären die häufigsten Missverständnisse auf und zeigen Ihnen einen praxiserprobten Prozess, mit dem Sie jedes Audit souverän meistern und Ihr ISMS jeden Tag ein Stück sicherer machen.
Das Fundament: Kernkonzepte einfach erklärt
Bevor wir in den Prozess eintauchen, müssen wir eine gemeinsame Sprache sprechen. Im Kontext von ISO 27001 gibt es zwei Begriffe, deren Verwechslung in Audits immer wieder zu Problemen führt. Wenn Sie diesen Unterschied einmal verinnerlicht haben, sind Sie den meisten schon einen großen Schritt voraus.
Was ist eine Nichtkonformität?
Eine Nichtkonformität (engl. Non-Conformity) ist schlicht und einfach die Nichterfüllung einer Anforderung. Diese Anforderung kann aus verschiedenen Quellen stammen:
Die ISO 27001-Norm selbst: Ein Passus aus der Norm wird nicht umgesetzt.
Ihre eigenen Richtlinien: Sie verstoßen gegen eine Regel, die Sie sich selbst auferlegt haben (z. B. in Ihrer Passwort-Richtlinie) .
Gesetzliche oder vertragliche Vorgaben: Anforderungen aus der DSGVO oder Kundenverträgen werden nicht eingehalten.
Auditoren unterscheiden in der Regel zwischen wesentlichen (Major) und unwesentlichen (Minor) Nichtkonformitäten. Eine wesentliche Nichtkonformität stellt ein systematisches Versagen dar, das die Integrität des gesamten ISMS gefährdet, während eine unwesentliche ein Einzelfall oder eine kleinere prozessuale Lücke sein kann.
Der „Aha-Moment“: Korrektur vs. Korrekturmaßnahme
Hier liegt die häufigste Wissenslücke und die größte Chance für Klarheit. Stellen Sie es sich wie bei einer Krankheit vor:
Die Nichtkonformität ist das Symptom: Sie haben Kopfschmerzen.
Die Korrektur (Correction) ist die schnelle Schmerzlinderung: Sie nehmen eine Tablette. Das Symptom ist weg, aber die Ursache nicht behoben.
Die Korrekturmaßnahme (Corrective Action) ist die Heilung: Sie stellen fest, dass die Kopfschmerzen von Dehydration kommen. Sie etablieren eine neue Gewohnheit, regelmäßig Wasser zu trinken, um zukünftige Kopfschmerzen zu verhindern.
Im ISMS-Kontext bedeutet das:
Korrektur: Eine sofortige Aktion, um eine festgestellte Nichtkonformität zu beseitigen. Man löscht das Feuer.
Korrekturmaßnahme: Eine Aktion zur Beseitigung der Ursache einer Nichtkonformität, um ein erneutes Auftreten zu verhindern. Man sorgt dafür, dass kein neues Feuer entstehen kann.
Ein Auditor will nicht nur sehen, dass Sie das Problem behoben haben (Korrektur). Er will sehen, dass Sie verstanden haben, warum es passiert ist, und dass Sie systemische Änderungen vorgenommen haben, damit es nicht wieder passiert (Korrekturmaßnahme).
Das Bild verdeutlicht den entscheidenden Unterschied zwischen Nichtkonformität (Symptom), Korrektur (sofortige Behebung) und Korrekturmaßnahme (dauerhafte Lösung durch Ursachenbehebung) mithilfe einer eingängigen Analogie.
Der 6-Schritte-Prozess für die Audit-sichere Dokumentation
Ein strukturierter Prozess ist das Rückgrat Ihres Umgangs mit Nichtkonformitäten. Er stellt sicher, dass nichts übersehen wird und Sie dem Auditor jederzeit eine lückenlose Dokumentation vorlegen können.
Diese Grafik dient als visuelle Anleitung für den kompletten Prozess der Behandlung von Nichtkonformitäten und Korrekturmaßnahmen im ISO 27001-Managementsystem.
Schritt 1: Identifikation & Erfassung
Nichtkonformitäten können überall auftauchen: bei internen Audits, während des Management Reviews, durch Mitarbeiterfeedback oder, im Ernstfall, durch externe Audits.
Sobald eine Nichtkonformität identifiziert ist, muss sie zentral erfasst werden. Ihr „Nichtkonformitäts- und Korrekturmaßnahmenregister“ sollte mindestens folgende Informationen enthalten:
Eine eindeutige ID
Datum der Feststellung
Detaillierte Beschreibung der Nichtkonformität (Was ist passiert? Wo? Wann?)
Quelle der Feststellung (z. B. „Internes Audit“, „Benutzermeldung“)
Betroffene Anforderung (z. B. „ISO 27001, A.9.2.3“ oder „Interne Passwort-Richtlinie“)
Schritt 2: Sofortige Korrektur & Eindämmung
Das ist der Feuerwehreinsatz. Was können Sie sofort tun, um den Schaden zu begrenzen und das akute Problem zu lösen?
Dokumentation: Halten Sie fest, welche Korrekturmaßnahme durchgeführt, von wem und wann sie abgeschlossen wurde.
Auditor-Tipp: Viele Unternehmen stoppen hier. Sie beheben das Symptom und betrachten den Fall als abgeschlossen. Das ist ein klassischer Fehler, der in einem ISO 27001 Audit sofort auffällt.
Schritt 3: Ursachenanalyse (Root Cause Analysis)
Jetzt beginnt die eigentliche Detektivarbeit. Warum ist die Nichtkonformität überhaupt aufgetreten? Oberflächliche Antworten wie „menschliches Versagen“ sind hier nicht ausreichend. Sie müssen tiefer graben.
Eine bewährte Methode ist die „5 Whys“-Technik. Sie fragen so lange „Warum?“, bis Sie zum Kern des Problems vordringen.
Problem: Ein Server wurde ohne aktuelle Sicherheits-Patches in Betrieb genommen.
Warum? Der Patch-Prozess wurde nicht befolgt.
Warum? Der zuständige Administrator hatte keine Zeit.
Warum? Er musste unerwartet ein dringenderes Projekt übernehmen.
Warum? Es gibt keinen definierten Prozess für die Übergabe von Verantwortlichkeiten bei kurzfristigen Umplanungen.
Warum? Die Prozessdokumentation ist veraltet und spiegelt die aktuellen Teamstrukturen nicht wider.
Die wahre Ursache ist also nicht „menschliches Versagen“, sondern eine Lücke in der Prozessdokumentation und -steuerung.
Schritt 4: Planung der Korrekturmaßnahme
Basierend auf Ihrer Ursachenanalyse planen Sie nun die „Heilung“. Eine gute Korrekturmaßnahme ist S.M.A.R.T.:
Spezifisch: Was genau wird getan?
Messbar: Woran erkennen wir den Erfolg?
Attraktiv/Akzeptiert: Ist die Maßnahme umsetzbar?
Relevant: Löst sie wirklich die identifizierte Ursache?
Terminiert: Bis wann wird sie umgesetzt?
Dokumentieren Sie den Plan, einschließlich Verantwortlichkeiten und Fristen.
Schritt 5: Umsetzung der Maßnahme
Führen Sie den geplanten Schritt durch. Das kann eine technische Änderung, eine Prozessanpassung, eine Schulung für Mitarbeiter oder die Aktualisierung einer Richtlinie sein.
Schritt 6: Überprüfung der Wirksamkeit
Dies ist der entscheidende, aber am häufigsten vergessene Schritt. Hat die Maßnahme wirklich funktioniert? Hat sie die Ursache nachhaltig beseitigt?
Frage: Wie stellen wir sicher, dass die neue Prozessdokumentation nun befolgt wird?
Überprüfung: Wir führen nach 3 Monaten ein Mini-Audit durch und prüfen die letzten 5 Server, die in Betrieb genommen wurden. Wenn alle korrekt gepatcht sind, war die Maßnahme wirksam.
Erst wenn die Wirksamkeit positiv bestätigt wurde, kann der Eintrag im Register geschlossen werden. So lässt sich am besten die Wirksamkeit messen und der Erfolg steigern.
In der Praxis: Ein Beispiel von A bis Z
Machen wir es konkret. Nehmen wir ein häufiges Szenario:
Nichtkonformität: Ein ehemaliger Mitarbeiter hatte drei Wochen nach seinem Austritt noch aktiven Zugriff auf das CRM-System.
Diese visuelle Eselsbrücke festigt das Lernziel, dass Korrekturen Probleme sofort beheben, während Korrekturmaßnahmen die dauerhafte Ursache adressieren – essentiell für nachhaltige Informationssicherheit.
1. Identifikation
ID: NC-2023-017
Beschreibung: Ehemaliger Mitarbeiter Max Mustermann (Austritt 01.03.) hatte am 22.03. noch aktiven CRM-Zugang.
Quelle: Regelmäßige Benutzer-Access-Review.
2. Korrektur
Aktion: CRM-Account von M. Mustermann wurde am 22.03. um 10:15 Uhr manuell deaktiviert.
Verantwortlich: IT-Admin.
3. Ursachenanalyse
Ergebnis (5 Whys): Der Offboarding-Prozess ist nicht automatisiert. Die IT wurde von der Personalabteilung nicht rechtzeitig über den Austritt informiert, da die zuständige HR-Person im Urlaub war und keine Vertretung den Prozess übernommen hat. Die vorhandene Checkliste ist unklar.
4. Planung
Korrekturmaßnahme: Einführung eines ticketbasierten Offboarding-Workflows. Sobald HR einen Austritt im HR-System vermerkt, wird automatisch ein Ticket für die IT erstellt, das alle zu deaktivierenden Zugänge auflistet und nachverfolgt.
5. Umsetzung
Status: Neuer Workflow wurde im Ticketsystem implementiert. HR- und IT-Teams wurden am 15.04. geschult.
Verantwortlich: Prozess-Manager.
6. Wirksamkeit
Prüfung: Überwachung der nächsten drei Mitarbeiter-Austritte. Ergebnis: Bei allen drei wurden die Zugänge innerhalb von 24 Stunden gesperrt.
Status: Wirksamkeit bestätigt am 30.05. – Fall geschlossen.
Dieses Vorgehen zeigt einem Auditor nicht nur, dass Sie ein Problem gelöst haben, sondern dass Ihr ISMS lernfähig ist. Es ist ein lebendiger Beweis für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP), der das Herzstück von Normen wie ISO 27001 ist. Oftmals ist es sogar sinnvoll, verschiedene Managementsysteme zu kombinieren, um Synergien zu nutzen; die Integration von ISO 9001 und ISO 27001 ist hier ein klassisches Beispiel, um Prozessqualität und Informationssicherheit Hand in Hand zu verbessern.
Fazit: Von der Pflicht zur Stärke
Der Umgang mit Nichtkonformitäten und Korrekturmaßnahmen ist weit mehr als eine bürokratische Übung für das nächste Audit. Es ist der Pulsschlag Ihres ISMS. Jeder Fehler, der systematisch erfasst, analysiert und behoben wird, macht Ihr Unternehmen widerstandsfähiger und Ihre Informationen sicherer.
Indem Sie den entscheidenden Unterschied zwischen schneller Korrektur und nachhaltiger Korrekturmaßnahme verinnerlichen und einen sauberen, dokumentierten Prozess etablieren, verwandeln Sie jeden Stolperstein in einen Trittstein auf dem Weg zu echter Informationssicherheit. Sie beweisen nicht nur Konformität, sondern demonstrieren eine gelebte Kultur der kontinuierlichen Verbesserung. Und das ist es, was am Ende wirklich zählt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist der Unterschied zwischen einer wesentlichen und einer unwesentlichen Nichtkonformität?
Eine unwesentliche (Minor) Nichtkonformität ist typischerweise ein Einzelfall oder eine kleine Abweichung, die das Gesamtsystem nicht gefährdet. Beispiel: Ein Dokument wurde nicht fristgerecht überprüft. Eine wesentliche (Major) Nichtkonformität deutet auf ein systematisches Versagen hin. Beispiel: Es gibt gar keinen Prozess für die Dokumentenprüfung, weshalb alle Dokumente veraltet sind.
Was muss ich tun, nachdem eine Nichtkonformität beseitigt wurde?
Die Beseitigung (Korrektur) ist nur der erste Schritt. Entscheidend ist die anschließende Ursachenanalyse, die Planung und Umsetzung einer Korrekturmaßnahme und – ganz wichtig – die Überprüfung, ob diese Maßnahme auch wirklich wirksam war und das Problem dauerhaft gelöst hat.
Wie beweise ich die Wirksamkeit einer Korrekturmaßnahme?
Der Nachweis muss objektiv sein. Das kann durch verschiedene Methoden geschehen:
Wiederholtes Audit: Prüfen Sie den spezifischen Bereich nach einiger Zeit erneut.
Datenanalyse: Überwachen Sie Kennzahlen (KPIs). Beispiel: Die Anzahl der offenen Sicherheits-Patches ist nach Einführung eines neuen Patch-Management-Prozesses dauerhaft gesunken.
Beobachtung/Tests: Führen Sie gezielte Tests durch, um zu sehen, ob der neue Prozess eingehalten wird.
Amin Abbaszadeh ist Informationssicherheitsexperte bei SECJUR und unterstützt Unternehmen dabei, Informationssicherheits- und Compliance-Standards wie ISO 27001 effektiv umzusetzen. Zuvor war er als Senior Consultant Cybersecurity bei NTT DATA tätig, wo er Projekte im Bereich IT-Compliance und ISMS verantwortete. Durch seine interdisziplinäre Erfahrung in Technik, Beratung und Management verbindet Amin strategisches Denken mit praxisnaher Umsetzung – immer mit dem Ziel, nachhaltige Sicherheits- und Compliance-Strukturen zu schaffen.
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