Beitrag teilen
HOME
/
blog
/
NIS2: Meldepflichten für Cybervorfälle in Deutschland

NIS2: Meldepflichten für Cybervorfälle in Deutschland

Niklas Hanitsch

Volljurist und Compliance-Experte

November 14, 2025

5 Minuten

Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.

Key Takeaways

Unternehmen müssen erhebliche Cyber-Vorfälle innerhalb von 24 Stunden melden, um NIS2-konform zu handeln.

Klare Zuständigkeiten und ein definierter Incident-Response-Prozess sind entscheidend für eine fristgerechte Meldung.

Eine korrekte Einschätzung der Erheblichkeit verhindert kostspielige Fehlentscheidungen und Bußgelder.

Die enge Verzahnung von IT-Sicherheit und Datenschutz ist notwendig, da NIS2- und DSGVO-Meldepflichten parallel greifen können.

Ein erheblicher Cyber-Sicherheitsvorfall. Die Systeme stehen still, das Telefon klingelt ununterbrochen und der Druck steigt. Mitten in diesem Chaos startet eine unsichtbare Stoppuhr: Sie haben genau 24 Stunden Zeit, um eine Erstmeldung gemäß der NIS2-Richtlinie abzugeben. Aber was genau müssen Sie melden? An wen? Und was passiert, wenn Sie einen entscheidenden Fehler machen?

Keine Sorge. Dieser Artikel ist Ihr operativer Fahrplan durch den Dschungel der NIS2-Meldepflichten. Wir übersetzen das Juristendeutsch in eine klare, praxisnahe Anleitung, damit Sie im Ernstfall nicht nur reagieren, sondern souverän agieren.

Die Grundlagen: Wer, was und wohin melden?

Bevor wir in die Details der Fristen eintauchen, klären wir die drei wichtigsten Fragen, die sich jedes Unternehmen stellen muss. Sie bilden das Fundament für Ihr gesamtes Incident Response Management unter NIS2.

Bin ich von der NIS2-Meldepflicht betroffen?

Die erste Hürde ist zu verstehen, ob Ihr Unternehmen überhaupt unter die NIS2-Richtlinie fällt. NIS2 unterscheidet zwischen „wesentlichen“ (essential) und „wichtigen“ (important) Einrichtungen, basierend auf Sektor und Unternehmensgröße. Betroffen sind deutlich mehr Branchen als zuvor, von Energie und Verkehr über digitale Anbieter bis hin zu produzierenden Gewerben.

Wenn Sie unsicher sind, ob Ihr Unternehmen betroffen ist, hilft Ihnen unser detaillierter Leitfaden zu den allgemeinen NIS2 Anforderungen weiter. Er bietet eine klare Übersicht über die Kriterien und Sektoren.

Was ist ein „erheblicher Sicherheitsvorfall“?

Nicht jeder IT-Störfall ist meldepflichtig. NIS2 verlangt die Meldung von „erheblichen“ Sicherheitsvorfällen. Ein Vorfall gilt als erheblich, wenn er:

  1. Schwere Betriebsstörungen oder finanzielle Verluste für die betroffene Einrichtung verursacht.
  2. Andere natürliche oder juristische Personen erheblich beeinträchtigt, indem er erhebliche materielle oder immaterielle Schäden verursacht.

Praxis-Beispiele für erhebliche Vorfälle:

  • Ein Ransomware-Angriff, der Ihre Produktionsanlagen lahmlegt.
  • Ein Ausfall Ihrer Cloud-Dienste, der Hunderte Ihrer Kunden betrifft.
  • Eine kompromittierte Datenbank, die zu einem erheblichen Datenleck führt.

Der Entscheidungsbaum erleichtert das Verständnis, ob und wann ein Cyber-Vorfall gemäß NIS2 meldepflichtig ist – ein wichtiges Werkzeug speziell für Anfänger.

An wen muss ich melden?

In Deutschland ist die zentrale Meldestelle das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Das BSI agiert als nationale CSIRT (Computer Security Incident Response Team) und koordiniert die Reaktion auf Cyber-Vorfälle. Die Meldungen erfolgen in der Regel über ein vom BSI bereitgestelltes Online-Portal.

Praxis-Tipp: Speichern Sie den Link zum BSI-Meldeportal als Lesezeichen und stellen Sie sicher, dass mehrere Personen im Team die Zugangsdaten kennen. Im Krisenfall zählt jede Minute.

Der NIS2-Melde-Prozess in der Praxis: Eine Timeline für den Ernstfall

Die NIS2-Meldepflicht ist kein einmaliger Akt, sondern ein mehrstufiger Prozess. Jede Phase hat eine klare Frist und erfordert unterschiedliche Informationen. Stellen Sie sich den Prozess wie eine Eskalationskette vor, die den Behörden ein immer klareres Bild der Lage vermittelt.

Diese NIS2-Timeline visualisiert die zeitlichen Meldephasen bei Cyber-Vorfällen in Deutschland und macht die Fristen und Berichtsinhalte auf einen Blick verständlich.

Phase 1: Die ersten 24 Stunden – Die Erstmeldung (Frühwarnung)

Sobald Sie Kenntnis von einem erheblichen Sicherheitsvorfall erlangen, beginnt die 24-Stunden-Frist. Diese erste Meldung dient als Frühwarnung für die Behörden.

  • Zweck: Das BSI schnellstmöglich über einen potenziell großen Vorfall zu informieren, damit es seinerseits Warnungen aussprechen und Trends erkennen kann.
  • Benötigte Informationen:
    • Name Ihres Unternehmens.
    • Der Zeitpunkt, zu dem der Vorfall bemerkt wurde.
    • Eine erste Einschätzung, ob der Vorfall auf rechtswidrige oder böswillige Handlungen zurückzuführen sein könnte.
    • Ob grenzüberschreitende Auswirkungen wahrscheinlich sind.
  • Was Sie vermeiden sollten: Spekulieren Sie nicht! Wenn Sie eine Information noch nicht haben, geben Sie das an. Es geht um eine schnelle, erste Lagemeldung, nicht um eine vollständige Analyse. Niemand erwartet, dass Sie innerhalb von 24 Stunden richtig handeln und bereits eine vollständige Ursachenanalyse parat haben.

Phase 2: Innerhalb von 72 Stunden – Das Update zur Lage

Nach der Erstmeldung haben Sie weitere 48 Stunden Zeit (also insgesamt 72 Stunden nach Kenntnisnahme), um eine detailliertere Meldung nachzureichen.

  • Zweck: Den Behörden eine erste fundierte Bewertung des Vorfalls zu liefern.
  • Benötigte Informationen:
    • Eine erste Bewertung der Schwere und der Auswirkungen des Vorfalls.
    • Soweit verfügbar, technische Details wie Kompromittierungsindikatoren (Indicators of Compromise, IoCs).
    • Eine erste Beschreibung der bereits ergriffenen oder geplanten Abhilfemaßnahmen.

Phase 3: Spätestens nach einem Monat – Der Abschlussbericht

Innerhalb eines Monats nach der ersten Meldung müssen Sie einen Abschlussbericht einreichen. Wenn der Vorfall zu diesem Zeitpunkt noch andauert, genügt ein Fortschrittsbericht, gefolgt von einem finalen Bericht nach Abschluss des Vorfalls.

  • Zweck: Eine umfassende Analyse des Vorfalls, der getroffenen Maßnahmen und der gewonnenen Erkenntnisse zu dokumentieren.
  • Benötigte Informationen:
    • Eine detaillierte Beschreibung des Vorfalls, einschließlich seiner Schwere und Auswirkungen.
    • Die wahrscheinliche Ursache (Root Cause).
    • Die ergriffenen und geplanten Abhilfemaßnahmen zur Eindämmung und Wiederherstellung.
    • Die grenzüberschreitenden Auswirkungen des Vorfalls.
    • Lessons Learned: Was werden Sie tun, um einen solchen Vorfall in Zukunft zu verhindern?

Typische Fallstricke und wie Sie sie vermeiden

Die Theorie ist das eine, die Praxis das andere. In der Hektik eines echten Cyber-Vorfalls lauern viele Fehlerquellen. Hier sind die häufigsten Fallstricke und wie Sie ihnen entgehen.

Diese übersichtliche Visualisierung hilft dabei, typische Fehler bei der NIS2-Meldung zu erkennen und zu vermeiden – ein wertvoller Erinnerungsanker für alle Incident-Responder.

Unklare Zuständigkeiten und fehlende Prozesse

Das Problem: Im Ernstfall weiß niemand, wer die Meldung erstellen und freigeben muss. Wertvolle Zeit verstreicht, während intern nach Verantwortlichkeiten gesucht wird.

Die Lösung: Definieren Sie einen klaren Incident Response Plan. Legen Sie fest, wer im Vorfallteam die Meldung an das BSI verantwortet und wer als Stellvertreter fungiert. Eine durchdachte NIS2 Krisenkommunikation ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.

Falsche Einschätzung der „Erheblichkeit“

Das Problem: Aus Angst vor Reputationseinbußen wird ein Vorfall intern als „nicht erheblich“ eingestuft, obwohl er die Kriterien klar erfüllt. Die Meldung unterbleibt – ein kostspieliger Fehler.

Die Lösung: Führen Sie im Vorfeld eine fundierte NIS2 Risikoanalyse durch. Definieren Sie klare, messbare Schwellenwerte, ab wann ein Vorfall für Ihr Unternehmen als „erheblich“ gilt (z. B. Ausfall von X % der Produktion, finanzieller Schaden von Y Euro). Das nimmt die Subjektivität aus der Entscheidung.

NIS2 vs. DSGVO: Doppelte Meldepflicht?

Das Problem: Ein Vorfall betrifft sowohl die IT-Sicherheit (NIS2) als auch personenbezogene Daten (DSGVO). Das Team ist unsicher, ob eine Meldung reicht oder zwei separate Meldungen an unterschiedliche Behörden nötig sind.

Die Lösung: Ja, es können zwei separate Meldepflichten bestehen. Eine NIS2 und DSGVO Meldepflichten zu koordinieren ist entscheidend. Während die NIS2-Meldung an das BSI geht, muss eine Datenschutzverletzung an die zuständige Landesdatenschutzbehörde gemeldet werden. Die Fristen und Inhalte unterscheiden sich. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Datenschutzbeauftragter und Ihr IT-Sicherheitsteam eng zusammenarbeiten.

Der nächste Schritt: Von der Theorie zur Praxis

Die NIS2-Meldepflichten sind komplex, aber beherrschbar. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht darin, im Krisenfall panisch nach Anleitungen zu suchen, sondern in der proaktiven Vorbereitung. Ein etablierter und regelmäßig geübter Incident Response Prozess ist Ihre beste Versicherung gegen die Risiken von Cyberangriffen und die Fallstricke der Bürokratie.

Moderne Compliance-Plattformen können dabei helfen, diese Prozesse zu digitalisieren und zu automatisieren. Sie führen Sie Schritt für Schritt durch die Anforderungen, stellen die richtigen Fragen zur richtigen Zeit und helfen dabei, alle notwendigen Nachweise zentral zu verwalten. So verwandeln Sie die gesetzliche Pflicht in einen strategischen Vorteil für die Resilienz Ihres Unternehmens.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu den NIS2-Meldepflichten

Was ist die NIS2-Meldepflicht?

Die NIS2 Meldepflicht ist eine gesetzliche Verpflichtung für bestimmte Unternehmen in kritischen Sektoren, erhebliche Cyber-Sicherheitsvorfälle innerhalb strenger Fristen an die nationale zuständige Behörde (in Deutschland das BSI) zu melden.

Welche Fristen sind am wichtigsten?

Die drei entscheidenden Fristen sind: 24 Stunden für die Erstmeldung (Frühwarnung), 72 Stunden für eine detailliertere Meldung und ein Monat für den Abschlussbericht. Die 24-Stunden-Frist ist die kritischste.

Was passiert, wenn ich eine Meldung verpasse?

Das Versäumen der Meldefristen kann zu empfindlichen Sanktionen führen. Dazu gehören hohe Bußgelder, die sich am Umsatz des Unternehmens orientieren, sowie Anordnungen der Aufsichtsbehörden und im schlimmsten Fall die persönliche Haftung der Geschäftsleitung.

Muss ich auch „Beinahe-Vorfälle“ melden?

Ja, NIS2 führt auch eine Meldepflicht für „erhebliche Beinahe-Vorfälle“ (significant near misses) ein. Das sind Vorfälle, die das Potenzial hatten, erheblichen Schaden anzurichten, aber durch Zufall oder effektive Abwehrmaßnahmen verhindert wurden.

An welche Stelle in Deutschland melde ich?

Die zentrale Meldestelle für die Meldung von Vorfällen nach NIS2 ist in Deutschland das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).

Der nächste Schritt: Von der Theorie zur Praxis

Die NIS2-Meldepflichten sind komplex, aber beherrschbar. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht darin, im Krisenfall panisch nach Anleitungen zu suchen, sondern in der proaktiven Vorbereitung. Ein etablierter und regelmäßig geübter Incident Response Prozess ist Ihre beste Versicherung gegen die Risiken von Cyberangriffen und die Fallstricke der Bürokratie.

Moderne Compliance-Plattformen können dabei helfen, diese Prozesse zu digitalisieren und zu automatisieren. Sie führen Sie Schritt für Schritt durch die Anforderungen, stellen die richtigen Fragen zur richtigen Zeit und helfen dabei, alle notwendigen Nachweise zentral zu verwalten. So verwandeln Sie die gesetzliche Pflicht in einen strategischen Vorteil für die Resilienz Ihres Unternehmens.

Niklas Hanitsch

Als Jurist mit langjähriger Erfahrung als Anwalt für Datenschutz und IT-Recht kennt Niklas die Antwort auf so gut wie jede Frage im Bereich der digitalen Compliance. Er war in der Vergangenheit unter anderem für Taylor Wessing und Amazon tätig. Als Gründer und Geschäftsführer von SECJUR, lässt Niklas sein Wissen vor allem in die Produktentwicklung unserer Compliance-Automatisierungsplattform einfließen.

Über SECJUR

SECJUR steht für eine Welt, in der Unternehmen immer compliant sind, aber nie an Compliance denken müssen. Mit dem Digital Compliance Office automatisieren Unternehmen aufwändige Arbeitsschritte und erlangen Compliance-Standards wie DSGVO, ISO 27001 oder TISAX® bis zu 50% schneller.

Compliance, completed

Automatisieren Sie Ihre Compliance Prozesse mit dem Digital Compliance Office

Mehr erfahren

Frequently asked questions

Everything you need to know about the product and billing.

Weiterlesen

October 11, 2023
6 min
NIS2 Anforderungen: Welche Pflichten kommen auf Unternehmen zu?

Cybersicherheit rückt verstärkt in den Fokus der EU, und die aktualisierten NIS2-Anforderungen stellen Unternehmen vor erhebliche Aufgaben. Dieser Artikel bietet einen kompakten Überblick über die Pflichten und Vorschriften, die Unternehmen erfüllen müssen, darunter die Selbst-Einordnung als "besonders wichtige" oder "wichtige" Einrichtungen, die Meldung von Sicherheitsvorfällen und die Implementierung von Sicherheitsmaßnahmen. Wir beleuchten die Bedeutung des Risikomanagements, der Sicherheit in der Lieferkette und der Schulung der Mitarbeiter in "Cybersecurity-Hygiene" und zeigen, warum die Einhaltung der NIS2-Anforderungen in ganz Europa von höchster Bedeutung ist.

Lesen
September 25, 2023
10 min
Bitkom-Studie: Mittelstand im Visier der Cyberkriminalität

Laut einer aktuellen Bitkom-Studie erlitt die deutsche Wirtschaft einen Schaden von 206 Milliarden Euro durch Cyberkriminalität, wobei vor allem Angriffe aus dem Umfeld der Organisierten Kriminalität zugenommen haben. Sowohl Großunternehmen als auch kleine und mittelständische Unternehmen waren betroffen. Wie können Sie Ihr Unternehmen schützen?

Lesen
October 28, 2025
5 Minuten
ISO 9001 & ISO 27001: Integration für Effizienz und Sicherheit

Viele Unternehmen managen ISO 9001 und ISO 27001 noch getrennt und verlieren dadurch Effizienz und Überblick. Erfahren Sie, wie ein Integriertes Managementsystem (IMS) Qualität und Informationssicherheit vereint, Prozesse verschlankt, Risiken zentral steuert und Ihre Organisation nachhaltiger, sicherer und wettbewerbsfähiger macht.

Lesen
TO TOP